Olga Beschenkovskaja
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aus dem notizbuchlein

***

die flugzeuge fallen wie herbstliche blätter
gottesspielzeuge
ich bin augenzeugin der zeit des vergessens
die kirchen sind voll die seelen leer
ich glaube an gott
er ist noch zu klein...

***

der tod kam zu mir und fragte
bist du schon fertig
ich bin immer bereit
aber fertig werde ich nie

oktober 2001

"...Mit zwölf Jahren wagte ich es, denn Sinn der Poesie folgendermaßen zu bestimmen:

Die Poesie - ist eine Schlinge über dem Postament
Und der zaghafte Tautropfen auf dem Blatt."
Seitdem bemühe ich mich nicht mehr, diese Frage zu klären. Vielleicht besitzt diese aus der Inspiration schöpfende, egoistische Beschäftigung ja überhaupt keinen Sinn, vielleicht sogar Gott sei Dank... Die Politik aber verkörpert den Gegensatz, den gesunden Menschenverstand, die genau berechnende Tätigkeit und immer Heuchelei. Hier bin ich völlig inkompetent. In Frage kommt nur eines von beiden, entweder die Politik oder die Poesie. Obwohl die Poeten bis 1985, nicht zuletzt auch ich selbst, gleichsam die Rolle von Volksdeputaten übernahmen. Den Traditionen gerade der russischen Lyrik entspricht der Protest gegen den Totalitarismus, ihr Pathos ist das der bürgerlichen Hochherzigkeit. Dabei handelt es sich um eine Eigentümlichkeit unserer Geschichte und demzufolge auch unserer Literatur. Vielleicht zum Glück, vielleicht aber trägt dies auch zu ihrer Verarmung bei..."

Olga Beschenkovskaja

Aus dem Nachschlagwerk

"RUSSISCHE ZEITGENÖSSISCHE SCHRIFTSTELLER IN DEUTSCHLAND"
Verlag Otto Sagner. Slawische Beiträge. 367. München. 1998.

ECKSTOß MIT WORTEN

DREIEKIGES POEM

KAPITEL 1


Wären wir nicht so taub und ein wenig aufmerksam,
Würden wir an allen Ecken und Enden ein Wort hören:
Es heißt "Die Ecke".
Wären wir nicht so blind und ein bißchen neugierig,
Würden wir an allen Ecken und Enden ein Ding sehen:
Es ist eine Ecke.
Das Leben ist total eckig.
Unsere Eltern sagten zu uns zehnmal pro Tag:
" Stell dich in die Ecke!"
Erste Bestrafung und erste Beobachtung:
Die Welt sieht aus der Ecke besonders schön aus...
Kinder wachsen in der Ecke auf,
Um Menschen zu werden,
Um die Winkel der Liebe ihrer Herzen verletzen zu können...
Unsere Gefühle sind eckig.
Unsere Gedanken - eckig.
Das Haus ist eckig.
Das Grab - eckig.
Wir sind auch eckig...
Wir lassen das Leben aus unseren zitternden Händen zu Boden fallen...
Die eckigen Steine der ewigen Denkmäler bekrönen unseren dummen Weg.
Und wo ist unsere letzte Chance?
Jenseits: gleich um die Ecke...
Wir kommen wieder zu dieser eckigen Erde,
Um das eckige Leben weiter zu führen...


KAPITEL 2


...es lebte einmal ein eckkünstler
in einem eckhaus
er mietete ein eckzimmer
mit einem blauen eckklo
er kaufte sich einen ecktisch und einen ecksessel
und er schaute mit seinen eckigen augen
die eckigen nachrichten
in seinem eckigen fernseher
der himmel von dem ein verrücktes flugzeug fiel
war eckig
die erde die bebte
war eckig
alles um ihn herum war eckig
und er zeichnete nur die ecken die ecken die ecken
auf dem eckigen papier
er bekam einen eckigen preis
und bestellte sich ein tolles eckiges auto
die eckigen räder wollten doch nicht rollen
und sein eckiges herz zersprang


KAPITEL 3


Na ja,
trinken wir einen Eckglas Mineralwasser
auf die eckigen Menschen,
auf diese eckige Erde,
und werden wir uns
nur mit der Ecke berauschen,
da Alles um uns herum
eckig ist:
Design und Dasein!

***

Der Friedhofsengel öffnete mir die Tür,
befahl zu warten hinter dem Zaun.
Die Eltern kamen heraus - es war 12 Uhr -
das Geländer streifend, sichtbar - kaum.
Mein Atem wie eine Explosion an dem hohen Tor.
Ich spürte die Anwesenheit des Herrn...
...Was soll ich euch sagen? Das Geschlecht setzt sich fort
Und zart blühen die Erdbeeren.
In diesem armen Dialekt besser schweigen.
( Im Herzen - voll, im Gesicht - bloß)
Das Morgenrot geht wie die Schamröte von den Wangen
und der Himmel bleibt farblos.
Und von dem Ort kann ich mich nicht bewegen.
Verstummende Glieder...
Versteinertes Vaterland...
Und die Frau in Schwarz treibt zur Eile,
die Blumen schneller zu legen.
Und die Frau in Weiß verschwand...

P.S. In Rußland stellt man den Tod als eine Frau im Weiß vor.

***

Кладбищенский Ангел мне дверь отворил,
Велел подождать за оградой...
Родители вышли, касаясь перил
невидимых, вея прохладой...
Дыханье - как взрыв у высоких ворот
в незримом присутствии Лика...
Ну что вам сказать? Продолжается род,
и нежно цветёт земляника...
И совестно вымолвить что-то ещё
на этом наречии бедном...
И сходит заря, как румянец - со щёк,
и небо станосится бледным...
И с места - не сдвинуться, будто нога
вросла... Онемевшие чресла...
И женщина в чёрном торопит, строга...
А женщина в белом - исчезла...

***

Wozu du, Spiegel, zeigst du mit kalt
Mutters Gesicht, mit deutlichem Kinn...
Wirklich so schließt sich auch der Ring:
Ich bin schon alt...
Dort, diese Falten merkte ich gestern nicht.
Dafür heute - so klar und scharf...
Es bebt und pulsiert es wie Adern, dieses Licht.
Der Vorhang leuchtet. Ich sterbe schon bald. Ich darf...
Mein Leben ist ein Muttermuseum,
Wo wir uns nicht mehr streiten...
Mit letzter Zärtlichkeit, von niemandem gesehen,
die Lehne des wackelnden Sessels zu streicheln...